Der Coronavirus stellt uns alle vor große Herausforderungen und ständig wird von “italienischen Verhältnissen” als Schreckgespenst gesprochen. Das haben wir zum Anlass genommen und uns die Gesundheitssysteme der Länder Italien, Deutschland, Frankreich und USA mal etwas genauer angeschaut.
Die Gesundheitssysteme der einzelnen europäischen Länder bzw. der USA sind äußerst vielfältig und spiegeln auch verschiedene gesellschaftspolitische Entscheidungen wider. Laut WHO steigt unsere Lebenserwartung ständig an, was zu der Annahme führt, dass sich auch die Gesundheitsversorgung immer weiter verbessert. Ein weltweiter Vergleich der Gesundheitssysteme zeigt jedoch, dass nur Länder, in denen die Grundeinkünfte hoch sind, auch eine gute Infrastruktur haben. Dadurch sind auch die Kosten der Gesundheitsversorgung höher. In Europa können grundsätzlich zwei Modelle von Gesundheitssystemen differenziert werden:
- In nordeuropäischen Ländern trifft man vorwiegend auf das sogenannte Beveridge-Modell, dieses stützt sich in seiner Finanzierung hauptsächlich auf Steuergelder. Auch Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien gehören seit den 80er-Jahren zu dieser Gruppe.
- In mittel- und osteuropäischen Ländern ist hingegen das Bismarck-Modell mit gesetzlicher Krankenversicherung verbreitet, so wie wir es auch in Deutschland kennen, diese werden zum größten Teil durch die Beiträge der Versicherten finanziert und durch staatliche Zuschüsse unterstützt.
Das Gesundheitssystem in Italien
In Italien wird das Gesundheitswesen über Steuern finanziert, außerdem gibt es einen nationalen Gesundheitsdienst (Servizio Sanitario Nazionale), der im Jahr 1978 eingeführt wurde. Medizinische Dienstleistungen werden den Bewohnern unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Der Gesundheitsplan wird vom Gesundheitsministerium festgelegt, das bis zum Jahr 2004 auch den sogenannten Solidaritätsfond verwaltete. Dieser Fond unterstützte schwächere Regionen mithilfe von Ausgleichszahlungen. Nach der Abschaffung des Fonds erhielten die einzelnen Regionen ihre Eigenverantwortlichkeit, auf nationaler Ebene gibt es aber nach wie vor einen Solidaritätsfond für schwache Regionen. Die regionalen Regierungen müssen alle drei Jahre einen Gesundheitsplan erstellen, mit dem bestimmt wird, wie viele finanzielle Mittel die Krankenhäuser oder die lokalen Gesundheitsbetriebe erhalten. Im italienischen staatlichen Gesundheitswesen sind rund 635000 Menschen beschäftigt, davon sind ca. 96000 Ärztinnen und Ärzte.
Darüber hinaus kontrolliert das Gesundheitsministerium auch den Arzneimittelmarkt und fördert die Forschung. Verglichen mit anderen europäischen Ländern weist Italien vor allem Defizite in der Qualität der Versorgung bzw. bei Hygienevorschriften auf. Die Dichte an Ärzten ist ähnlich hoch wie in Deutschland, allerdings ist die Dichte an Pflegepersonal relativ gering. Da die Leistungen von den einzelnen Regionen selbständig festgelegt werden, gibt es außerdem ein starkes Nord-Süd-Gefälle, das heißt, der reichere Norden bietet im Vergleich zum ärmeren Süden seinen Bewohnern einen besseren Versicherungsschutz.
Die ambulante Versorgung findet primär über Familienärzte statt, diese sind niedergelassene Allgemeinmediziner oder Kinderärzte. Jeder versicherte schreibt sich bei einem Familienarzt ein, so haben die Allgemeinmediziner ca. 1500 Patienten und die Kinderärzte 800 Patienten. Die Vergütung der Familienärzte erfolgt über eine Kopfpauschale, die sich nach den Lebenshaltungskosten der Region und nach dem Dienstalter richten. Zusätzliche Zahlungen erhalten sie durch Sonderleistungen, die zugezahlt werden müssen. Konsultationen bei Fachärzten können nur über Überweisungen durch den Familienarzt erfolgen, ausgenommen davon sind Frauen, Augen und Zahnärzte. Die Fachärzte sind meistens in den Ambulanzen der Krankenhäuser angestellt oder freiberufliche Ärzte, die Verträge mit dem nationalen Gesundheitsdienst abgeschlossen haben. In den Ambulanzen angestellte Ärzte werden entsprechend ihrem Dienstalter entlohnt, viele haben zusätzlich noch eine Privatpraxis, in der sie Leistungen erbringen und arbeiten nur stundenweise in den Ambulanzen. Ärzte, die einen Vertrag mit dem nationalen Gesundheitsdienst abgeschlossen haben, erhalten Einzelleistungsvergütungen. Alle niedergelassenen Ärzte dürfen Leistungen, die sie an Patienten erbringen, die nicht auf ihrer Liste stehen, privat betreuen und abrechnen.
Alle Ärzte sind Pflichtmitglieder in der Ärztekammer, diese sind innerhalb der Regionen organisiert. Sie führen das Ärzteregister, überwachen die Einhaltung der Berufspflichten, beraten und haben die generelle Disziplinargewalt. Die eigentliche Verwaltung der Ärzte ist in den verschiedenen Ärztegewerkschaften organisiert, die dann vom Gesundheitsministerium zu den Honorarverhandlungen eingeladen werden.
Gesundheitssystem in Deutschland
Das Gesundheitssystem in Deutschland gliedert sich in drei Bereiche: So stehen den Bewohnern ambulante Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung, darüber hinaus gibt es auch den Krankenhaus-Sektor sowie Rehabilitationseinrichtungen. Finanziert wird die Gesundheitsversorgung hauptsächlich mit Beiträgen, da sich alle Bürger in einer gesetzlichen oder privaten Krankenkasse versichern müssen. Durch die gesetzliche Krankenversicherung erhalten die Versicherten einen Schutz im Falle einer Erkrankung. Sie erhalten den Zugang zur medizinischen Versorgung im ambulanten als auch stationären Sektor, als auch mögliche Geldleistungen, sofern diese notwendig sind. Die gesetzliche Krankenversicherung arbeitet u.a. nach dem Prinzip der Solidarität. Im Gegensatz dazu arbeitet die private Krankenversicherung über Risikoeinstufungen, nach denen sich der Beitrag richtet. Auch hier werden die Versicherten ganzheitlich abgesichert. Das zentrale Entscheidungsgremium ist der Gemeinsame Bundesausschuss, der die Richtlinien für die pflegerische bzw. medizinische Versorgung erlässt, den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung beschließt und Maßnahmen zur Qualitätssicherung beschließt. Eine Analyse der EU-Kommission zeigt, dass die Leistungen des deutschen Gesundheitssystems auf sehr hohem Niveau erbracht werden, allerdings ist das deutsche Gesundheitssystem auch teurer als Gesundheitssysteme der anderen EU-Länder. Die Zahl der Ärzte und des Pflegepersonals in Deutschland höher als in anderen Ländern der EU. Die Regierung hat verschiedene Initiativen gestartet, um die Berufe wieder attraktiver zu gestalten, Ärzte in ländliche Regionen zu holen oder die Arbeitssituation der Pflegekräfte attraktiver zu gestalten. Seit 2011 ist zudem die Zahl der Todesfälle, die vermeidbar sind, stabil.
Gesundheitssystem in Frankreich
In Frankreich zählt die Krankenversicherung zu den Pflichtversicherungen. Ein Arbeitgeber muss seine Angestellten bei der nationalen Krankenversicherung anmelden, darüber hinaus gibt es auch spezielle Krankenkassen für Landwirte, Eisenbahner bzw. Selbständige. Aufgrund des demografischen Wandelns und der hohen Arbeitslosigkeit befinden sich die Krankenkassen in den letzten Jahren in einer finanziellen Notlage, daher werden Defizite mithilfe von staatlichen Steuermitteln beglichen. Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu Deutschland ist das sogenannte Kostenerstattungsprinzip, das heißt, dass Versicherte die Leistungen an den behandelnden Arzt zahlen und von ihm dann einen Behandlungsschein (Carte Vitale) erhalten. Die Kosten für die Behandlung werden dann rückerstattet, allerdings sind die Selbstbeteiligungen in Frankreich sehr hoch und so erhält man zum Beispiel für eine ambulante Behandlung nur 75 Prozent der entstandenen Kosten zurück. Seit einigen Jahren sollen die Stellungen der Allgemeinmediziner gestärkt werden, so werden die Versicherten, die sich länger als ein Jahr an einen Überweisungsarzt binden, das zu bezahlende Honorar nicht mehr vorstrecken, sondern es wird direkt von der Krankenkasse übernommen. Die Allgemeinmediziner erhalten im gleichen Zug höhere Pauschalen pro versorgten Patienten. Mit diesem Programm sollen die teuren Facharztbesuche reduziert werden, allerdings haben nur rund 10 Prozent aller Ärzte diesen Vertrag unterschrieben. Von den in Frankreich 190000 Ärzte sind ca. die Hälfte praktizierende Allgemeinmediziner. Die ambulante Versorgung wird von sich frei niedergelassenen Ärzten erbracht, sie haben die Möglichkeit überall eine Praxis zu eröffnen, daher kommt es zu stark unter- und übersorgten Gebieten. Die Regierung versucht mit steuerlichen Vergünstigungen diese Verzerrung zu entspannen. Dasselbe gilt für Medikamente: Hier bekommen die Versicherten von der Krankenkasse 70 Prinzip rückerstattet. Kosten für langwierige und chronische Erkrankungen werden komplett von der Krankenversicherung übernommen, Ärzte haben eine Liste mit Konditionen in den Praxen oder Krankenhäusern vorliegen, die ihnen die aktuellen Leistungen darlegen, die vom Staat finanziert werden. Aus diesem Grund haben auch 95% der Franzosen eine private Zusatzversicherung abgeschlossen, die einen Großteil der restlichen Kosten übernimmt.
Die Ärzte sind auch in Frankreich Pflichtmitglieder im „Ordre National des Medicins“, dieser führt das Ärzteregister, legt die Berufsordnung fest und überwacht diese. Die Honorarverhandlungen laufen über die Ärztegewerkschaften.
Gesundheitssystem in den USA
Sehr lückenhaft und teuer ist das amerikanische Gesundheitssystem. Rund 50. Millionen haben Bürger keinen Krankenversicherungsschutz und auch Personen, die über eine Versicherung verfügen, müssen oft hohe Beträge aus privaten Mitteln dazuzahlen. Die meisten Amerikaner werden über den Arbeitgeber versichert, eine Krankenversicherung ist sogar oft ein Anreiz, ein Jobangebot anzunehmen. Was die Leistungen betrifft, sind aber die einzelnen Krankenversicherungen sehr unterschiedlich. So werden von einigen nur Basis-Leistungen oder Notfälle versichert, von anderen hingegen werden auch psychiatrische Behandlungen übernommen. Eine Alternative zur klassischen Krankenversicherung stellen die sogenannten “Health Maintenance Organizations” dar. Dabei handelt es sich um Organisationen, die ein gesamtes Ärzteteam umfasst, es gibt hier keine freie Arztwahl. Nach der Entrichtung einer Gebühr übernimmt dieses Team dann die gesamte gesundheitliche Versorgung einer Person. Für Selbständige gibt es auch Gruppenversicherungen, das heißt, kleine Firmen oder mehrere Selbständige schließen sich zusammen und haben dann die Möglichkeit, günstigere Tarife zu bekommen. Für Menschen, die nicht krankenversichert sind, sind die Programme Medicare, für ältere und behinderte Menschen, und Medicaid, für Personen mit geringem Einkommen und Kinder, sehr wichtig. Diese werden durch Sozialversicherungsbeiträge bzw. staatliche Zuschüsse finanziert, jedoch ist vor Inanspruchnahme der Leistung eine Überprüfung der Bedürftigkeit Voraussetzung. Die ambulante Versorgung erfolgt zum größten Teil über niedergelassene Ärzte, diese dürfen sich überall frei niederlassen und ihre Praxis auf allen Kanälen bewerben. Durch diese Freiheit hat sich in den USA eine Dreiteilung der ambulanten Versorgung etabliert. Es gibt zum einen die Arztpraxis, die feste Öffnungszeiten hat und in der ein bis drei Ärzte in mehreren Untersuchungszimmern im 15- bis 30 Minutentakt untersuchen. Die zweite Variante ist die Notaufnahme, die immer an ein Krankenhaus angeschlossen ist. Sie ist in verschiedene Behandlungszimmer aufgeteilt und kann Patienten 24 Stunden versorgen, im durchschnitt arbeiten hier ein bis fünf Ärzte. Die Notaufnahmen sind vom Gesetzgeber gezwungen jeden Patienten zu behandeln, unabhängig vom Versichertenstatus oder der Schwere der Erkrankung. Die dritte Form der Versorgung sind Akutkliniken diese haben längere Öffnungszeiten, als die normalen Praxen, sind aber aus Kostenersparnisgründen nicht immer mit ärztlichen Personal besetzt, sondern ärztlich tätigen Pflegepersonal, welches einfache ärztliche Tätigkeiten durchführen dürfen. Oft hängen hier am Eingang Preistafeln, die aufzeigen, wie teuer die entsprechenden Leistungen sind. Die Akutkliniken sind vom Inventar besser aufgestellt als die normalen Arztpraxen und so können hier auch Röntgenaufnahmen, CT- Aufnahmen oder Laborabnahmen gemacht werden. Fakt ist, dass das amerikanische Gesundheitssystem das weltweit teuerste System ist. So lagen etwa die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben bei etwa 9.890 Dollar, während man beispielsweise in Deutschland pro Jahr nur etwa 5.600 Dollar für die Gesundheit ausgibt, wobei hier Medikamente, Krankenhausaufenthalte sowie Arztbesuche inkludiert sind. Hohe Ausgaben bedeuten aber nicht unbedingt auch gute Ergebnisse. So ist beispielsweise die Lebenserwartung in Amerika niedriger als in Chile, wo man um 75 Prozent weniger für die Gesundheit ausgibt als in den USA. Viele US-Bürger müssen sich daher regelmäßig verschulden, um ihre Arztrechnungen auch bezahlen zu können.
Unsere Systeme sowie die Versorgungsstrukturen sind demnach bereits in den europäischen Ländern sehr unterschiedlich. Somit lassen sich besonders Probleme, die bei Epidemien oder auch Pandemien auftreten, nicht 1:1 von einem ins andere Land übertragen. Neben der systemischen Betrachtung fällt ebenfalls auf, dass vor allem Hygienemaßnahmen und ‑vorschriften unterschiedlich stark ausgeprägt sind. In Deutschland verfügen wir über einen guten Standard. Bisher war das bei uns in der Hygieneberatung vor allem Thema, wenn ausländische Ärzte sich in Deutschland niederlassen wollen und sich mit viele Auflagen und Vorgaben konfrontiert sehen. Wir haben uns an vieles bereits gewöhnt, was innerhalb der europäischen Union jedoch längst noch nicht zum Standard gehört.